Leseprobe zu: Zero Unit Band 2 - Böses Erwachen

© 2012 LYX verlegt durch EGMONT Verlagsgesellschaften mbH

Unverkäufliche Leseprobe

 

Sie hatte keine Angst. Wirklich nicht. Zum Lachen war ihr aber auch nicht gerade zumute. Im Halbdunkel der Abenddämmerung blickte TFC Tara Reeves von der Louisiana Landespolizei zitternd – wegen der Kälte wohlgemerkt, und nicht aus Angst – zu dem unleserlichen Schild über der großen verfallenen Bretterbude auf, deren ebenso baufällige Veranda über den trägen Fluss hinausragte. Dann schaute sie auf den Zettel in ihrer Hand, um den Namen ein weiteres Mal abzugleichen. Au Chien. Stimmte überein. Na toll. Auf dem schlammigen Parkplatz neben der zwielichtigen Raststätte wimmelte es von Harleys, alten Fords und Lastwagen in allen vorstellbaren Farben und Größen. Neben der anderen Seite der Hütte lagen die pechschwarzen Gewässer eines sumpfigen Flusses – eines Bayous – mit unaussprechlichem Namen. Sie war mitten im gottverlassenen Nirgendwo gelandet. Noch dazu drang laute Musik aus jeder Öffnung des Gebäudes, obwohl es acht Uhr an einem Mittwochabend war. In der Klitsche war richtig was los. Gott steh ihr bei. Musste sie da wirklich reingehen? Tara konnte sich ausmalen, wie man sie dadrin mit ihrer Uniform und der standardmäßigen SIG Sauer-Pistole empfangen würde. Mit genau der gleichen Ablehnung und den unverschämten Bemerkungen, in deren Genuss sie den ganzen Nachmittag über gekommen war. Ließ sie sich davon einschüchtern? Kein bisschen. Aber es hing ihr zum Hals raus. Ein klein wenig mulmig war ihr schon zumute. Aber nicht wegen der Raststätte. Sondern weil sie verfolgt wurde. Beschattet. Da war sie zu neunzig Prozent sicher. Schon den ganzen Tag über quälte Tara dieses ungute Gefühl. Ein unerklärliches Kribbeln im Nacken, das ihr dann als Schauer den Rücken hinunterkroch. Angefangen hatte es, als sie diese bemitleidenswerten toten Tiere entdeckt hatte. Vergiftet. Von irgendeiner illegal in den Sumpf geleiteten, superschädlichen Chemikalie. Was das anging, war sie hundertprozentig sicher. Die tödlichen Auswirkungen waren ihr nur allzu vertraut. Wer auch immer für diese Umweltsünde verantwortlich war, würde dafür bezahlen, und zwar nicht zu knapp. Dafür würde sie sorgen. Wenn das so weiterging, war es nämlich nur noch eine Frage der Zeit, bis auch noch Menschen starben. Falls das nicht bereits geschehen war. Eine unerträgliche Vorstellung. Tara würde nicht zulassen, dass ungezügelte unternehmerische Gier einem weiteren un- schuldigen Kind die Mutter nahm. Niemand sollte durchmachen müssen, was sie selbst erlebt hatte. Allerdings musste sie die Übeltäter erst noch ausfindig machen, bevor sie ihnen den Hahn abdrehen und sie ihrer gerechten Strafe zuführen konnte. Und auch den Ursprung der Umweltverpestung musste sie finden. Niedergeschlagen verschränkte sie die Arme vor der Brust. Warum wollte ihr bloß keiner der Einheimischen helfen? Sie waren doch schließlich diejenigen, die dabei draufgehen würden. Verdammt, sie brauchte doch nur jemanden, der sie weiter in die Sumpfgebiete hineinführte, als sie sich ohne Ortskenntnisse allein vorwagte. Den Rest konnte sie alleine erledigen. Ein Mann und ein Boot. Für einen Tag. Vielleicht auch zwei. War das wirklich zu viel verlangt? Doch das war es offenbar. Jeder der offiziellen Reiseführer und auch jeder andere, den sie heute Nachmittag deswegen angesprochen hatte, war »zu beschäftigt« oder »nicht interessiert« gewesen. Der Kerl, von dem sie das Kanu geliehen hatte, hatte sogar mit einer Schrotflinte vor ihr herumgefuchtelt. Als ob sie etwas dafür konnte, dass die letzten Schwachköpfe, die nicht von hier gewesen waren und denen er sein bestes Boot gegeben hatte, es so stark überladen hatten, dass es abgesoffen war. Diese Typen hatten doch tatsächlich versucht, eine schwere Klimaanlage und einen Kühlschrank in die Wildnis zu verfrachten. Einzig ihrer Polizeiuniform war es zu verdanken gewesen, dass dieser Charlie Thibadeaux ihr keine Ladung Schrot in den Hintern gejagt hatte. Welche Ironie. Hatte dieselbe Uniform doch dafür gesorgt, dass ihr alle anderen Reiseführer zuvor die Tür vor der Nase zugeschlagen hatten. Und ihr Nordstaaten-Akzent hatte auch nicht gerade geholfen. Beides zusammengenommen brachte das Gespräch jedes Mal in Sekundenschnelle zum Erliegen. Inzwischen war Tara jedenfalls beim Bodensatz der Gesellschaft angelangt: Arbeitslose und Schwarzbrenner würden vielleicht nicht davor zurückschrecken, einer uniformierten Yankee- Polizistin die Gegend zu zeigen, wenn sie sich so ein bisschen was dazuverdienen konnten. Plötzlich hörte Tara ein Knacken in den Zweigen hinter ihrem Boot. Mit einer Hand an der SIG drehte sie sich um und ging in die Hocke. Ein großer Mann kam aus den Schatten hinter dem Parkplatz geschlendert. »Sachte, Chère«, sagte er gedehnt. »Seit wann ist es verboten, einen heben zu gehen?« Sie stieß den Atem aus und versuchte, ihre Verlegenheit hinter einem betont ruppigen Ton zu verbergen. Seit wann war sie derartig schreckhaft? »Für Sie TFC Reeves«, stieß sie zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor, »und wenn Sie nicht Gefahr laufen wollen, erschossen zu werden, sollten Sie sich nicht von hinten an eine Polizeibeamtin heranschleichen.« Sie steckte die Waffe wieder zurück in das Holster. Aber er lächelte nur und zuckte unbeeindruckt mit den Schultern. »Werd ich mir merken … TFC Reeves.« Sein schwerfälliger Cajun-Akzent überzog die absichtlich lang gezogenen drei Buchstaben mit reinster Melasse, sodass es mehr nach Süßholzgeraspel als nach der offiziellen Rangbezeichnung »Trooper First Class« klang. Dann stellte er sich genau vor Tara. Der Mann war wirklich groß. Mindestens einsneunzig, mit breiten Schultern. Gut aussehend. Er besaß diese faszinierende Schurken-Ausstrahlung, die den dunklen Cajun-Männern eigen war. Einzig eine hochrote Narbe an der Schläfe, die sich bis in das dichte schwarze Haar hineinzog, störte das Bild. Durch sie wirkte er fast ein wenig … gefährlich. Er schaute sich auf dem Parkplatz um. »Irgendwas Verdäch- tiges im Gange, von dem ich noch nichts mitbekommen habe, TFC Reeves?« Als er den Blick wieder auf sie richtete, spiegelten sich die bunten Lichterketten, die kreuz und quer über das Dach der Raststätte gespannt waren, in seinen schwarzen Augen. Er hob einen Mundwinkel. »Oder … sind Sie vielleicht wegen was anderem hier …?« Ach. Wie subtil. Tara schob sich den breiten Polizeihut aus dem Gesicht und bedeutete ihm, näher zu kommen. Dann lehnte sie sich etwas vor. Auch er neigte sich zu ihr hinunter, bis ihre Gesichter nur noch wenige Zentimeter voneinander entfernt waren. »Darf ich das als Aufforderung zur Unzucht verstehen, Cher?«, fragte sie leise, aber mit drohendem Unterton in der Stimme, über den auch das vertrauliche Cajun-Kosewort nicht hinwegtäuschen konnte. Sein Blick glitt gemächlich zu ihrem Mund. »Mais non, Officer. « Als er ihr direkt in die Augen schaute, wurde sein Lächeln noch breiter. »Mich könnten Sie sich eh nicht leisten.« Nach diesen Worten wich er ihr aus und machte sich über den engen Landungssteg und die Vorterrasse auf den Weg zum Vordereingang des Au Chien. Zähneknirschend kniff Tara die Augen zusammen. Tja. Wenn das mal kein Heidenspaß werden würde. Nachdem der Sumpf-Casanova im Lokal verschwunden war, sammelte sie sich erst noch einige Minuten, bevor sie sich ebenfalls auf den Weg zum Eingang machte. Als sie den Schankraum betrat, war es wie in einem dieser alten Western, wenn John Wayne in den Saloon kommt und alle innehalten, um ihn anzustarren. Nur war das Au Chien zu groß, als dass jeder Einzelne sofort bei ihrem Anblick erstarrt wäre. Aber während Tara sich einen Weg durch das Getümmel bahnte, verstummten nach und nach alle um sie herum. Tara ließ sich jedoch genauso wenig beirren wie John Wayne. Schließlich war sie das gewohnt. Überall, wo sie hinkam, war es dasselbe. In der Öffentlichkeit riefen ihre Uniform und die Waffe diese Reaktion hervor. Bei der Arbeit stach sie dadurch hervor, dass sie eine Frau war. Polizistinnen waren in ihrem Bereich dünn gesät. Ihre männlichen Kollegen verhielten sich deshalb entweder vollkommen ablehnend oder betrachteten sie als ihr persönliches Spielzeug. Doch das trieb Tara ihnen schnell aus. An die damit zusammenhängende Einsamkeit hatte sie sich gewöhnt. Wie auch immer. Sie war ja nicht hier, um Freundschaften zu schließen. Also setzte sie ein sorgfältig einstudiertes freundliches Lächeln auf und stellte sich an den glänzenden Holztresen. Der grauhaarige Barkeeper lächelte zwar zurück, doch sein Blick blieb misstrauisch. »Kann ich Ihnen helfen?« Sie kam direkt zur Sache. »Ich suche nach einem guten Führer für das Sumpfgebiet. Man hat mir gesagt, ich soll hier nachfragen.« Der Barkeeper nickte wissend. »Tja, nun. Wir sind ja auch so ’ne Art Treff für Naturburschen aus der Gegend hier. Was für’n Führer hatten Sie sich’n da vorgestellt?« »Jemand, der sich in den Bayous auskennt. Ich untersuche das Tiersterben, das in letzter Zeit hier in der Gegend beobachtet wurde.« Weiter wollte sie das nicht ausführen. Denn sobald die Worte »giftige Abwässer« fielen, ging der Ärger erst richtig los. Besonders in Louisiana. Da kämpften Umweltapostel und Gutmenschen gegen diejenigen, die ihre Jobs in der großen, schmutzigen Industrie behalten wollten – weil sie auf das Geld angewiesen waren. Tara hielt sich da raus. Ihr ging es nur um die Einhaltung der Gesetze. Außerdem wollte sie verhindern, dass noch mehr Menschen einen sinnlosen und schrecklichen Tod starben, und Witwer und mutterlose Kinder zurückblieben. »Tja, nun. Mal seh’n.« Der Barmann schaute sich in dem überfüllten Lokal um. Dann zeigte er auf zwei Männer, die in einer Holznische herumlümmelten. »Bei den fils da können Sie’s ja mal versuchen. Die können Ihnen auch wen anders empfehlen, falls sie nich’ können.« Nach Jungs sahen die Kerle nun wirklich nicht aus, eher wie zwei überfütterte Gorillamännchen. Aber in der Not frisst der Teufel Fliegen. Bis Montag mussten die Ermittlungen abgeschlossen sein. Länger würde Taras Chef sie nicht von ihrem Arbeitsplatz weglassen. Wenn er allerdings erfuhr, womit sie befasst war … Dann hätte sie wohl alle Zeit der Welt. »Zerbrechen Sie sich ma’ nich’ Ihr hübsches Köpfchen wegen dieser Sache. Sind doch nur’n paar tote Tierchen. Nix von Belang.« Sie rang kurz mit sich, ließ es dann aber sein, bestellte sich ein Bier – nur um den Schein zu wahren –, bedankte sich bei dem Barmann und ging zu dem Tisch mit den Gorillas hinüber. Aber da hatte sie auch nicht viel mehr Glück. Nachdem sie sich mit den Männern unterhalten hatte und genau wie von zwei weiteren angeblichen Reiseführern mit lahmen Ausreden abgespeist worden war, nahm sie doch einen Schluck aus ihrer Flasche. Anschließend holte sie sich noch eine Abfuhr bei drei anderen Primitivlingen, trank daraufhin die Flasche halb aus und trat wieder an die Bar. »Na, fille, hat wohl nicht geklappt, was?«, erkundigte sich der Barkeeper. Nach einem letzten angewiderten Schluck stellte sie das Bier ab. »Weiß nicht, ob die Uniform ihnen solche Angst macht oder ob’s an mir liegt.« Er lachte in sich hinein und stützte die Arme auf den speckigen Tresen. »Tja, nun. Sie können eigentlich genauso gut den Kerl da drüben fragen. Dem macht so schnell nichts Angst«, schlug er dann vor und deutete auf einen Mann, der sich gerade über den Billardtisch beugte. Hal-lo. Er hatte ihr den Rücken zugedreht. Na schön, es war eher sein Hinterteil, das ihr zugewandt war. Und was für ein Hintern. Fest. Schlank. Muskulös. Als er sich noch ein wenig tiefer beugte, spannte die gut sitzende Jeans, und ihr wurde richtig was geboten. Um es mal so zu sagen. Oh, Mama. »Also, der Junge, ja, der is’ hier im Bayou aufgewachsen, aber längere Zeit weg gewesen. Kennt den Sumpf trotzdem wie seine Westentasche.« Junge. Na klar. Der Mann war weit über dreißig, mindestens. Nicht, dass sein Alter irgendeine Rolle spielte. »Ist er vertrauenswürdig?«, fragte sie mit einem Blick auf das große KABAR-Jagdmesser, das er sich ans Bein geschnallt hatte. Der Barkeeper lächelte. »Nun, da gab es Gerede um eine Haftstrafe, aber das sind nur olle Kamellen. Zahlt jedenfalls immer die Zeche und gibt gutes Trinkgeld.« Das klang ja reizend. »Sonst gibt’s niemanden mehr?« »Denke, Sie haben’s bereits bei jedem versucht, fille.« Okidoki. Dann fiel die Wahl also auf Monsieur Knackarsch. »Geben Sie mir eins von dem, was er da gerade trinkt«, forderte sie den Barkeeper auf und legte ihm zehn Dollar Trinkgeld hin. Er reichte ihr eine eisgekühlte Flasche Stella Artois. Also gut. Jetzt musste es einfach klappen. Wenn es ihr nicht gelingen sollte, für den Trip morgen einen Führer anzuheuern, wusste sie auch nicht mehr weiter. Wahrscheinlich würde sie alleine in den Sumpf fahren, sich verirren und niemals wieder herausfinden. Das würde ihrem Vorgesetzten gefallen. Während Tara die prachtvolle Kehrseite dieses Kerls bewun- derte, wartete sie geduldig, bis er seinen Spielzug beendet hatte. Sein Gegner hatte nicht den Hauch einer Chance. Als er alle Kugeln eingelocht hatte, trat sie vor und hielt ihm genau in dem Augenblick das Bier hin, als er sich umdrehte. Und erstarrte. Mist. Der Typ von draußen. Monsieur Knackarsch war der Sumpf- Casanova. Ihr grässlicher Tag war hiermit komplett. Ohne mit der Wimper zu zucken, nahm er ihr die Flasche ab, lächelte auf diese Art, die sie auf die Palme brachte, und sagte: »Dachte mir schon, dass Sie’s sich anders überlegen würden, Chère. Schön zu sehen, dass ich es immer noch draufhabe.« Sie schäumte vor Wut. »Ja, nun, da wäre ich mir nicht so sicher. Wenn Sie tatsächlich denken, ich sei zu Ihnen gekommen, um … um – « Aber er ignorierte ihr Gestammel einfach, setzte die Flasche an und trank einen großen Schluck. Mit Lippen, die so voll und wohlgeformt waren, dass sie wie geschaffen dafür waren … Himmel noch eins. »Weswegen sind Sie denn dann rübergekommen?«, fragte er und hielt sie mit betont unschuldigem Blick aus verführerisch dunklen Augen gefangen. Als hätte er nicht bemerkt, wie sie ihn angestarrt hatte. Sie presste die Lippen aufeinander. Na schön. Das war keine gute Idee. Überhaupt nicht gut. Schließlich war sie nicht hier, um einen Mann kennenzulernen. Oder … irgendetwas von dem zu tun, was ihm da offensichtlich vorschwebte. Tara wollte grundsätzlich nichts mit Männern zu tun haben. Jedenfalls nicht so. Sie hatte sich davon verabschiedet, kurz nachdem sie ihre Dienstwaffe bekommen hatte. Pistolen und Männer vertrugen sich offensichtlich nicht gut. Entweder nahmen die Kerle eine abwehrende Haltung ein und wurden plötzlich zum Obermacho, sobald sie die SIG entdeckten, oder es machte sie für ihren Geschmack viel zu sehr an. Dann bekam Tara jedes Mal eine Gänsehaut. Irgendjemand musste sie durch den Sumpf führen. Das war alles. Aber dem Einbaum von diesem Typen würde sie nicht zu nahe kommen wollen. Niemals. Tara räusperte sich. »Ähm, nur so«, sagte sie dann. »Wollte mich nur entschuldigen, weil ich da draußen auf dem Parkplatz so ruppig war und Sie mit einer Waffe bedroht habe. Man sieht sich.« Doch als sie sich abwandte, rief er ihr hinterher: »Hey, Chère. Hab gehört, Sie suchen einen Führer.«

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